Show 22

Changes

Felix Schramm

16. Februar - 16. Mai 2018

Thesen zur Skulptur

Bei früherer Gelegenheit habe ich eine – damals noch in der Herstellung befindliche – Arbeit von Felix Schramm als „Schauplatz des Inkohärenten” bezeichnet. Dies war aus der Beobachtung hergeleitet, dass Schramms sozusagen provenienzmäßig zwar dem Skulpturalen verpflichtete Arbeit es sich dennoch versagte, ‚Skulptur’ als konzeptuellen Garant oder materiale Verkörperung medialer Geschlossenheit hinzunehmen. Diesmal würde ich so weit gehen, Schramms künstlerischen Ansatz insgesamt über die Begriffe ‚Schauplatz’ und ‚Inkohärenz’ fassen zu wollen, ohne jemals den Bezug zu ‚Skulptur’ aufzugeben. Tatsächlich scheint mir diese spezifische Weise einer der wenigen, künstlerisch produktiv zu machenden (oder, dogmatisch gesprochen, überhaupt möglichen) Ansätze im Bereich der Skulptur zu sein. Schramm verschanzt sich nämlich weder im Traditionalismus (als könne es in der Skulptur analog zur Malerei oder Fotografie als sozusagen außerhalb der Geschichte stehendem ‚künstlerischen Medium’ immer so weiter gehen) und dem gattungstypischen Authentizismus der Bildhauerei. Noch weicht er unter dem Druck der Verhältnisse dem durchaus interessanten ‚Problem Medium’ so einfach aus (indem er etwa in die notorisch als progressiv durchgewinkte Rhetorik der Collage, der Installation oder des Prozesses abböge).
Deswegen würde ich umso mehr dafür plädieren, Schramms Arbeiten eben genau als Skulpturen anzuschauen. Skulpturen, die absichtsvoll Schauplätze des Inkohärenten bieten – und die damit einerseits die traditionellen Standards bildhauerischen Gelingens zur Disposition stellen und die sich andererseits den Opportunismus eines modischeren Formats oder einer leichter zu konsumierenden Ordnung versagen. Mir zumindest hilft das zur Klärung meines eigenen Problems, dass ich viel lieber anhand von Bildern das Zusammenwirken von Bild, Ding und Kunst anschaue als bei Dingen, die mit der Behauptung Kunst zu sein ausgestattet sind, mangels Alternative die Behauptung dem Ding vorziehen zu müssen. (Keine Frage, dass es von solchen Dingen mehr als genug gibt, nur halt selten interessante.)

Ausgehend von der damaligen Arbeit Schramms hat sich seither ein regelrechter Werkkomplex entwickelt – die so genannten „Akkumulationen“ bilden seit 2012 gewissermaßen das Gravitationszentrum innerhalb von Schramms zudem thematisch und darstellungstechnisch stetig ausgeweiteten Oeuvre.

Das kennzeichnende Merkmal der „Akkumulationen“ ist auch, was sie buchstäblich zum Schauplatz macht. Sie basieren auf vom Künstler größtenteils selbst hergestellten, manchmal gefundenen oder in Auftrag gegebenen Vitrinen: Gehäuse aus Glas oder Plexiglas, die als Guckkästen und Displays fungieren. Die, oftmals mehrstöckig oder in verschiedene Abteilungen aufgeteilt, teilweise additiv aneinander fixiert, zum Teil mehrfach ineinander verschachtelt vorkommen können. Sie dienen – darin funktional – zugleich zur Aufbewahrung wie zur Präsentation. Dabei inszenieren sie den Gestus des Zeigens oder Präsentierens regelrecht. Die Gehäuse enthalten verschiedene Dinge, ja auffallend heterogene Elemente, bei denen auf den ersten Blick nicht immer leicht zu entscheiden ist, worum es sich dabei handelt. Manches sieht deutlich ‚entworfen’, ‚gestaltet’ und ‚geformt’ aus: das könnten zum Beispiel miniaturisierte Modelle der raumgreifenden skulpturalen Setzungen mit architektonischem Ausmaß sein, wie sie seit Anfang der Nullerjahre zum Markenzeichen Schramms geworden sind. Andere wirken wie eigenständige Kleinplastiken, auf Basis etwa von Abformungen oder Güssen von Körperteilen mit stimmigen, menschlichen Proportion. Auch diese lassen sich auf eine Werkgruppe von Schramm beziehen Anderes wirkt wiederum ‚gefunden’, steht ‚zur Verfügung’: Fragmente, Reste oder schlicht Materialien, welche – aus welchem Grund auch immer – aufgehoben und für zeigenswert erachtet wurde.

Die gläsernen Gehäuse geben den diversen, akkumulierten Komponenten zwar eine vereinigende Gestalt. Dennoch reiben sich darin Maßstäbe und Proportionen, kollidieren Exemplar und Gattung, Umsetzung und Modell. Zu allem Überfluss fallen Exponat und Display, Ausstellungsstück und Präsentationsweise ineinander. Das semiotische Terrain der Akkumulationen ist instabil. Selbst was nach bildhauerischer object matter, eben nach blankem Material, Rest, Fundstück aussieht, scheint wenigstens behandelt, auf einen bestimmten Effekt hin getrimmt zu sein – nicht ohne die Assoziation an den um die Ehrlichkeit des Materials und seine möglichst ehrbare Verwendung geführten Streit zwischen den beiden Arte Povera-Vertretern, Jannis Kounellis und Pino Pascali zu wecken. Letzterer hatte sich – etwa in seiner Serie täuschend echt aus Pappe, Holz und Metallteilen gebauter Waffen, „Le Armi“ (1965) oder für seine späteren Rekonstruktionen der Natur (1968) – für einen ambivalenten Materialgebrauch, den eigenen Raum, den dabei die Skulptur einnimmt entschieden. Keine Frage, auf welche Seite sich Felix Schramm schlagen würde.

Ihrerseits heterogen, wollen die „Akkumulationen“ nach und nach entdeckt, an und für sich gesehen werden. Sie suggerieren durch die Präsentationsweise gleichermaßen Ordnung, ohne Bezüge allerdings zu unterstützen. Eher im Gegenteil. Obwohl sichtlich plan- und kunstvoll gebaut, gibt es keine privilegierten Betrachterposition, keine Zentralperspektive aber auch keine ideale Kamerafahrt, worüber sich der Bauplan, mithin Struktur und vielleicht sogar Zweck dieser Objekte eindeutig klären ließe. Objekte, die vom Format her kaum die Dimension eines Kleinmöbels übersteigen. Und wie mit einem Möbel – nehmen wir zum Beispiel einen Barocksekretär oder meinetwegen eine Sammlervitrine –, ist mit einer „Akkumulation“ umzugehen. Sie will, als Skulptur, selbstverständlich umrundet, sukkzessive entdeckt werden; zwingt zum Bücken oder Strecken; verführt mit kalkulierten Öffnungen an der einen Stelle zum Anfassen oder entzieht sich an anderer, was zu den effizientesten Techniken der Verführung gehört. Niemals ist sie je ganz einzusehen, nie völlig unter Kontrolle zu bringen. Ohnehin hat sie im immer mehrere parallele Schauseiten, die sich durchaus widersprüchlich zueinander verhalten können. Und das Beste verpasst man ja öfter.

Dass Ganzes und seine Teile zusammenhängen müssen, ist irgendwie klar. Der Plan, auf dem sich der Zusammenhang von Schramms Arbeiten herstellt, ist von einer anderen Ordnung. Dieser Plan beruht auf der Inkohärenz, die über die einzelnen Komponenten nicht anders regiert als über das Ganze der Akkumulation. Das schließt Brüche, Insertierungen, hinsichtlich der Dimension oder Zuordnung Nichtzusammengehöriges ein. Zusammenhang kommt, frei nach Helmut Draxler, jedoch grundsätzlich nicht ohne Gewalt aus. Das könnte die Lektion sein, die uns die „Akkumulationen“ aufgeben. Darüber hinaus sind sie allerdings Inventar und Speicher für verschiedene konzeptuelle Möglichkeiten und technische Zustände von Skulptur, ob realisiert oder nicht. In den „Akkumulationen“ verschränken sich Aspekte des Modells, der Skulptur, der Bühne.

Von dieser Perspektive her ist es interessant, nochmals auf das künstlerische Projekt insgesamt zu blicken. Eine Ästhetik des Inkohärenten ist, was Felix Schramms Oeuvre zu organisieren scheint. Die Brüche, Insertierungen, das hinsichtlich der Dimension oder Ordnung Nichtzusammengehörige – all das kennzeichnet auch seine raumgreifenden Setzungen, die  nicht nur ihrer konzeptuellen Logik nach am und für den Ort entwickelte Skulptur sind. Es wäre irreführend, sie als ortsspezifischen Eingriff oder gar im Sinne einer Intervention zu deuten, wenngleich diese Arbeiten mit ihren teils monumentalen Ausmaßen mitunter großartig dysfunktional im Weg stehen. Aus dieser Perspektive interpretiert, müsste es ihnen an criticality, präzise gerichtetem institutionskritischem Impuls fehlen. Sie täten schließlich nur so, als forderten sie mit dem architektonischen Raum konkret auch den der Institution heraus. Mit der umfassenden Konzeptualisierung der Kunst seit den 1960er Jahren hat sich eine antiästhetische Haltung durchgesetzt, die die tatsächlichen Möglichkeiten von Kunst mit ihren wirklichen – gesellschaftlichen – Effekten zu verwechseln droht. Die Bezugnahme auf die architektonische/institutionelle Umgebung ist für Schramm kaum mehr als eine Produktionsnotwendigkeit, auf die er im Sinne einer regelrecht barocken Ästhetik reagiert: Der reale Raum schrumpft im Wechselspiel mit den in ihn eingesperrten/aus ihm ausbrechenden Trümmerskulpturen zum Modellszenario. Aufgrund ihrer Form, qua Größe und hergestellt aus dem technischen Arsenal des Kulissenbaus, verkehren sich bei diesen Arbeiten die Verhältnisse – und dennoch bleiben sie innerhalb der givens der Skulptur und stehen entsprechend als These da.

Nur folgerichtig ist es, wenn Schramm aktuell Inkohärenz umso mehr auf den Zusammenhang ‚Ausstellung’ anwendet.

Hans-Jürgen Hafner

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „changes“, Felix Schramm, Berlin, 2011

Ausstellungsansicht | Felix Schramm | Changes