SHOW 8
MULTI-PLEX (Berlin 1997-2013)
Michael Ballou
20. September 2013 - 15. Februar 2014
Deus ex Machina
Es läuft auf vier Rädern, man muss es anschauen und ihm zuhören – es hat jedoch weder Augen noch Ohren, lebt auf ewig in 90-Minuten-Intervallen und hat drei Trichter. Als die Sphinx Ödipus befragte, betraf die Frage ihn selbst, jedoch auf verschlungene und indirekte Weise. Nun zur Lösung von Michael Ballous Rätsel: Die Synthese aus Film und Skulptur endet in etwas, das der Sphinx sehr ähnlich ist.
Mit der erneuten Schöpfung von „Multi-Plex“ (ursprünglich 1997–99) entsteht eine Kreatur, die aus einer neuartigen und praktischen Lösung eines komplexen Problems geboren wurde: Wie bei einem typischen Monster entstehen die Eigenschaften durch einen Verschmelzungseffekt. Es gibt eine Vorgehensweise, die Dinge vereinfacht, beschleunigt und stärkt, ein alternatives Vorgehen fügt ihr jedoch Flügel, Arme und Beine sowie mehrere Köpfe hinzu. Diese Lösung untersucht Mehrwertigkeit. Es gibt Visionen – drei Monitore, jeder zeigt einen anderen Super-8-Film, wobei jeder Film aus einem hölzernen Trichter projiziert wird. Würde man die Filme lediglich an unterschiedliche Wände werfen, so ergäbe das eine Kakophonie aus Bildern und Ablenkungen. Stattdessen, und so hat es Greg Volk beschrieben, hat Michael Ballou drei unterschiedliche, persönliche Schauplätze erschaffen, die es dem Betrachter ermöglichen, vollkommen von dem filmischen Erlebnis umfangen zu sein. Die Filme werden in lockerer Abfolge vorgeführt, lassen einander höflich den Vortritt. Einer zeigt die Haupthandlung, die beiden anderen stummes Filmmaterial der Schatten von Marathonläufern; ein auf dem Kopf stehendes Rennen.
Die Räder: ein stabiler Einkaufswagen. In Michael Ballous Pantheon aus Mehrzweckobjekten ist der Einkaufswagen nicht nur ein Beförderer von Lebensmitteln und Haushaltswaren, sondern auch eine Speichereinheit, ein Tisch und, wie in anderen Installationen, ein Stellvertreter für den Künstler selbst – ein Werkzeug zum Herstellen von Kunst. Im Bauch des Einkaufswagens leben die drei DVD-Player, die das Gehirn des Objekts und auch ein Gegengewicht zu den beiden übereinanderstehenden Monitoren sind (ein dritter steht am Boden), wobei ein jeder sein Holzhäuschen hat, eben einen Trichter.
Es hat schon etwas extrem Aufgeregtes und Herausforderndes, wenn man einen Trichter verwendet, um seine Intention zu verdeutlichen. Verkehrsgehupe, mit Megafonen herumkommandierende Zirkusdirektoren oder die großartige Affektiertheit alter Grammofone, alles das hat einen Nachdruck, der unbedingte Aufmerksamkeit erfordert. Es gibt aber auch eine gegenteilige Verwendung – Trichter als Informationssammler: die Holmdel- Horn-Antennen und Beethovens nutzlose Hörmuschel. Und dann wäre da noch der grundlegende Symbolismus von Michael Ballous „Multi-Plex“; was ist das für ein langsames Ungeheuer, dieser Einkaufswagen und die drei Trichter?
In seiner jüngsten Ausstellung im Rahmen der „Raw/Cooked“-Serie des Brooklyn Museum (Frühjahr 2013) teilten zwei Installationen ihren Raum mit dem Betrachter, anstatt auf Podesten oder in Vitrinen zu verharren. „Dog Years“, eine Porträtsammlung von Hundebekanntschaften des Künstlers, ergoss sich aus den Sälen der American-Decorative-Arts-Abteilung, während „Go-go room“ einen Soundtrack sowie rotierende Mobiles präsentierte, die ihre Schatten auf die Galeriewände warfen. Und niemals wiederholte sich eine Form: Aber während die sinnliche Intensität der Installation die Betrachter fesselte, merkten sie meist nicht, dass sie auf einem Teppich liefen, den Ballou hergestellt hatte und der teils mit goldenen Flicken dekoriert, teils spritzlackiert war – eine Arbeit, die subtil und kompromisslos das Mitwirken des Betrachters erzwang.
Die schlaksigen Holzgehäuse des „Multi-Plex“, die im Galerieraum taumeln, haben dieselbe Zweckmäßigkeit und Schaffensfreude wie die prophetischen Kunstentwürfe von Tatlin oder El Lissitzky. Die Ästhetik des Konstruktivismus implizierte, dass der Betrachter keine andere Wahl hatte als hinzusehen. Auf unpolitische Weise ist Michael Ballous Menagerie aus Formen und Strategien ähnlich zudringlich, jedoch ohne die Überzeugung des Eiferers – wen er einmal im Griff hat, den bewegt er sanft dazu, sich zur rechten Zeit und am rechten Ort umzuschauen.
Ballou präsentiert seine Filme aus vielen unterschiedlichen Perspektiven. So verband er sie während einer Lichtschau in The Boiler (Teil der Pierogi Gallery) mit dem lyrischen Mineralöl und den pigmentierten Traumlandschaften eines Tony Martin, zeigte sie im altmodischen Kinosaalkontext im Brooklyn Museum sowie mit Liveband, von Brian Dewan geleitet, der Orgel spielt, mit Hackbrettbegleitung zur Untermalung der Handlung auf der Leinwand. Die körnig-flackernden Bilder von unter anderem einem Mann, der mit zwei Marionettenhänden ein Regal baut, oder einer Gruppe Arbeiter, die mühselig eine Werbetafel aufzubauen versucht (letztere war, zur großen Überraschung des Filmemachers mehr als für jeden anderen, für Jesus!), sind von der Kamera bearbeitet und werden permanent, von Anfang bis Ende der Spule, fotografiert. Ebenso wie Ballous Filme ist auch die erneute Version des „Multi-Plex“ in der Kienzle Art Foundation eine Kombination aus Spontaneität, Zufall und der andauernden Bereitschaft, das scheinbar Banale ebenso auszunutzen wie das Wunderbare. In diesen willkürlichen Parametern – die Grundfläche der Galerie, die Länge einer Filmrolle oder die Maße eines Einkaufswagens – verbirgt sich unendlicher Raum für Scherz und Eventualität.
William Corwin New York City, 2013
(Übersetzung: Daniel Kletke)