Show 19

Chromaintensity

Anke Völk

11. Februar - 15. April 2017

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Früher glaubte man, jede Materie wäre von einer Seele belebt, Metalle wurden Gemütslagen zugeordnet und Farben waren die Substanz philosophischer und religiöser Dispute, die sich in lapisblauen Marienmänteln, braunen Büßergewändern und kaiserlichem Purpurprivileg äußerten. In diesem Universum hatte alles seinen Platz bis die Wissenschaft damit aufräumte. Stattdessen wurden Licht und Farbe miteinander in Beziehung gesetzt. Grundlage aller weiteren Forschung über das Wesen der Farben war Sir Isaacs Newtons Erkenntnis, dass „alle Farben in der Welt, die durch Licht erzeugt sind und nicht von der Einbildungskraft abhängen, entweder Farben homogenen Lichts sind oder aus solchen zusammengesetzt“. In der Folge ermöglichten Chemie, Optik und nicht zuletzt die Informatik ein Spektrum, das in unseren Tagen erstmals Farben in den bunten Flächen künstlich erzeugter Töne wieder mit derselben Kraft und Wirkung funkeln lässt wie zu Zeiten, als diese noch kostbar waren und RAL-Nummern unbekannt.

Dass es noch heute Malerei gibt, in der man die Gespenster potenter Farben in einem Spiegel anschauen kann wie Perseus die Medusa auf seinem bronzenen Schild, erkennt man in Anke Völks neuen, raumgreifenden Installationen Chromaintensity in der Kienzle Art Foundation. Die Berliner Malerin hatte allenfalls in frühen Jahren den Ehrgeiz, an die Welt angelehnte Bilder zu schaffen. Während sie damals Projektionen über und neben real in den Raum verbrachte Zeichnungen und Bilder legte, ordnet die Künstlerin nunmehr schillernde Papiere auf Leinwänden, deren matte Oberflächen mit Wandfarbe gestrichen scheinen. Diese bringt sie auf fragmentarischen, tapetenartig verklebten Wandverkleidungen an, die sich aus denselben gestrichenen Einzelbögen zusammensetzen, die auch die autonomen Bilder bestimmen. Klug gewählte Durch- und Einblicke in benachbarte Räume ergänzen sich zu einem visuellen Wirkungsbereich, der die vorhandene Architektur so selbstverständlich miteinbezieht, dass sich der Objektstatus einzelner Bilder im dominierenden Raumeindruck verliert.

Wegen der Art wie die Elemente von Chromaintensity in blaugrünvioletten Weiten schweben, ist man geneigt zu sagen, dass diese Arbeiten wie oft bei zeitgenössischer, abstrakter Malerei – zumal wenn sie unmittelbar auf die Wand aufgetragen wird – als reine Gestalt funktionieren, als verdichtete Farbpräsenz, in die man sich hineinbegibt statt sie von außen zu betrachten. Tatsächlich gerät man bei Betreten der Ausstellung unmittelbar in einen chromatischen Rausch. Farbige und weiße Flächen und Felder unterschiedlichster Intensität und Charakters sind einander gegenübergestellt. Flüssige, quecksilbrige Farben in kühlen Nuancen stehen gegen dichte rote Töne von Schockpink bis hin zu einem bräunlichen Bordeaux, während anderswo die chromatische Wirkung von Petrolgrün extemporiert wird. Entscheidend aus der Balance geworfen erden die Räume merkwürdigerweise genau in dem Moment, in dem das notorische Drängen der Farben auf den an sich formal einheitlichen Papieren durch Kratzer, Schrammen und brutale Risse gestört wird. Die fragmentarische Natur der Wandarbeiten entwickelt an dieser Stelle eine ausgesprochen prozesshafte, fast erzählerische Qualität.

Das ließe sich gegebenenfalls als fantastischer Taschenspielertrick deuten, um die Kernfrage der Moderne irgendwie in den Griff zu bekommen, um die es sonst fast ausschließlich in der ungegenständlichen Malerei geht: Wie kommen Blick und Bild im Spannungsfeld von Wahrnehmungsphysiologie, dem Malen anhaftenden Produktionsbedingungen wie Farbgesetzen und Fläche-Raum-Problemen, von Philosophie, gesellschaftlicher Konventionen und einer übermächtigen Kunstgeschichte im Realraum zusammen? Kurz, wie kann man heute, wo jedes Bild irgendwie mit jedem verwandt ist, überhaupt noch im abstrakten Feld agieren?
Völks Antwort ist ein luministisch-atmosphärischer Erlebnisraum, der das Materielle mit dem Immateriellen in Beziehung bringt. In ihm führt die Künstlerin die Farbe wieder auf ihre ursprünglichen Bestandteile, nämlich das Licht und den Untergrund, von dem das Licht reflektiert wird, zurück. Das Ergebnis dieser Analyse des dynamischen Potentials von Farben sind metallisch glänzende Oberflächen mit der luziden Qualität von Wasser. Das Quecksilbrige, potentiell Raumgreifende der unmittelbar auf die Wand aufgebrachten farbigen Blätter hält zunächst einzig ihr unfertiger Charakter in Schach. Die strenge Rahmenkonstruktion der als Bild im Bild erscheinenden Leinwände weist zusätzlich formale Grenzen auf, so dass die kühlen Farbfelder im Hintergrund nichts an Strenge verlieren.

Es klingen hier Ideen an, die so ähnlich schon mal um 1960 formuliert wurden, als sich die Zero-Künstler Piene, Mack und Uecker in die documenta putschten und dort ihren Lichtraum errichteten. “Das Licht macht die Kraft und den Zauber des Bildes, seinen Reichtum, seine Beredtheit, seine Sinnlichkeit, seine Schönheit aus“, postuliert Otto Piene damals emphatisch. Währenddessen strebte sein Ateliernachbar Heinz Mack die Ablösung der Komposition im Bild durch Strukturzonen an, in denen Farben in dynamischer Farbmodulation vibrieren sollten. Konkret zog er zügig einen Rakel durch die frische, auf einer Kunstharzschicht aufgetragene Farbe und löste sie so teilweise wieder von der Oberfläche.

Völk behandelt die Papiere, aus denen sich die Wandarbeiten zusammensetzen, ganz ähnlich. Nur sind ihre schillernden Farben im Vergleich zu Macks spröden schwarz-weißen Bildern ungleich berauschender. Dafür zieht sie mit einem extra breiten Pinsel die flüssig angerührten metallischen Pigmente mit wenigen großen Gesten über die in Bahnen ausgelegten Zeichenblätter und nimmt anschließend an verschiedenen Stellen wieder etwas Farbe weg bevor diese antrocknet. Später wird sie aus den Blättern auswählen, was ihr zur Weiterverarbeitung geeignet erscheint.
Es liegt nahe diesen Arbeitsprozess als Zufallsexperiment zu beschreiben, dass vor der Folie einer langen Malpraxis abläuft und infolgedessen nicht nur beherrschbar sondern sogar gezielt steuerbar ist. Die etwas älteren Skulpturen im Kabinett der Kienzle Art Foundation bestätigen diese Ansicht. Sie sind das Resultat eines entsprechenden stochastischen Spiels. Das erste Exemplar entstand eher zufällig beim Versuch ein übergroßes farbgetränktes Papier zu trocknen. Die Künstlerin verfeinerte die Technik und stellte eine ganze Gruppe dieser echsenfarbigen Faltenberge her, die frappierend den körperlosen pleurants des 15. Jahrhunderts gleichen.

Tatsächlich haben alle Arbeiten Anke Völks etwas von der essentiellen, komplexen Qualität vormoderner Bildauffassungen bewahrt, in denen Bild- und Realraum ineinander übergingen und Assoziationen und Widersprüche blühen konnten. Das löst sich manchmal metaphorisch ein, wie in dem notorischen Drängen der Wandkonstellationen, die sich über das sukzessive Etablieren von Farbwelten in verschiedenen Ebenen konstituieren. Oder buchstäblich, wenn sich wie in den vier mattschwarzen Bildern aus Aluminium, die als Schattenwesen zwischen all den Lichtgestalten hängen, die Bildfläche von der Wand weg gefährlich in den Raum hinein aufblättert.

Letztlich ist es aber egal ob sie ortsspezifisch in der Architektur oder autonom auf Papier, Leinwand oder Aluminium auftritt, was diese Malerei im Innersten ausmacht, ist Gespür für die emotionalen Möglichkeiten abstrakter Farben und Formen. Das lässt sich nicht erzählen sondern in aller Intensität nur unmittelbar erleben.

Susanne Prinz

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity

Kienzle Art Foundation Berlin,  Ausstelungsansicht „chromaintensity“, Anke Völk, Berlin, 2017

Ausstellungsansicht | Anke Völk | Chromaintensity